Aktuelle Urteile zur Praxisorganisation
1. Kaufvertrag (nur) über den Patientenstamm einer Praxis: Verkauf eines Patientenstamms ist verbotene Zuweisung gegen Entgelt
Der BGH hat mit Beschluss vom 09.11.2021, Az. VIII ZR 362/19 entschieden, dass ein Kaufvertrag (nur) über den Patientenstamm einer Praxis eine verbotene Zuweisung gegen Entgelt darstellt und daher nichtig ist. Das Merkmal der Zuführung von Patienten nach § 299 a StGB ist nach der Entscheidung des BGH weit zu fassen so dass auch in der Empfehlung an Patienten in Bezug auf bestimmte Behandler im Rahmen eines (nichtigen) Kaufvertrages eine verbotene Zuführung liegen kann. Die Kaufvertragsparteien hatten im entschiedenen Fall vereinbart, dass („nur“) die Patientenkartei und alle Krankenunterlagen mit vollständiger Kaufpreiszahlung in Eigentum und Besitz des Käufers übergehen sollten, soweit entsprechende Einwilligungserklärungen der Patienten vorlägen, die der Verkäufer einzuholen hatte. Der Verkäufer hatte sich verpflichtet, seine Patienten in einem informativen Rundschreiben die Fortsetzung der Behandlungen durch den Käufer zu empfehlen und alle Anrufe auf den Telefonanschluss sowie Aufrufe der Internetseite der der ehemals betriebenen Praxis auf den Anschluss und die Internetseite des Käufers umzuleiten. Auch eine Heilung des nichtigen Kaufvertrages zur Veräußerung eines Patientenstammes nach §§ 134, 139 BGB kam nach der Entscheidung nicht in Betracht, da vorliegend zentrale Regelungen des Vertrages unwirksam waren.
Praxistipp:
Eine isolierte wirtschaftliche Verwertung des „Patientenstamms“ als bloße Umsatz- und Gewinnchance ist rechtlich nicht möglich. Zwar ist das Empfehlen eines Nachfolgers (insbesondere auf konkrete Nachfrage) nicht generell unzulässig. Es ist aber verboten, sich hierfür ein Entgelt versprechen zu lassen. Fehler bei der Ausgestaltung des Praxiskaufvertrags können schwerwiegende Folgen – bis hin zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags – haben. Lassen Sie deshalb Verträge zur Praxisveräußerung unbedingt vor Abschluss des Vertrags rechtlich überprüfen, damit Sie hinterher keine bösen Überraschungen erleben.
2. Verjährung/Verfall von Urlaubsansprüchen setzt Belehrung durch Arbeitgeber voraus
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 20. Dezember 2022, Az. 9 AZR 266/20 entschieden, dass die dreijährige gesetzliche Regelverjährung für Urlaubsansprüche bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat. Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen verfällt dieser weder am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) noch zum Auflauf eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) und beginnt entsprechend der Rechtsprechung des BAG auch erst mit Belegung zur verjähren.
Praxistipp:
Achten Sie daher als Arbeitgeber darauf, jeden Arbeitnehmer zum Ende des Kalenderjahres über den noch bestehenden konkreten Urlaubsanspruch aus gesetzlichem Mindesturlaub (§ 3 Abs. 1 BUrlG) und ggf. arbeitsvertraglich darüber hinaus zusätzlich bestehenden Anspruch zu informieren. Informieren Sie den Arbeitnehmer, welche Verfallsfristen für den Urlaubsanspruch bestehen (gesetzliche Verfallsfristen, tarifliche oder arbeitsvertragliche Verfallsfristen). Dokumentieren Sie die Belehrung des Arbeitnehmers, damit Sie später im Streitfall die erfolgte Belehrung beweisen können.
Autor:
Oliver Graf
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Medizinrecht
Rechtsanwälte Semsi | Graf | Buchmüller-Reiss
Partnerschaftsgesellschaft mbB
Aus dem Magazin:
Kundenmagazin up date 01/2023
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