Der Einzug der ambulanten Kodierrichtlinien in Praxis und MVZ
Mit dem Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz wurden am 11.05.2019 auch die ambulanten Kodierrichtlinien verabschiedet. Diese Kodierrichtlinien sollten zum 01.01.2022 in Kraft treten. Aufgrund der Komplexität wurde den Softwarehäusern eine Übergangsfrist bis zum 30.06.2022 gewährt. Zum 01.07.2022 sind die ambulanten Kodierrichtlinien somit für alle Praxen und MVZ (medizinische Versorgungszentren) per Softwareupdate eingeführt worden.
Was bedeutet das konkret? Und was für Veränderungen kommen diesbezüglich auf Praxen & MVZ zu?
- Es gibt eine softwaregestützte Kodierunterstützung, ein sogenannter Kodier-Check, sowie weitere Bausteine zur Unterstützung der ICD-10 Kodierung.
- Eine Kodesuche
Dies ist die Möglichkeit der Freitextsuche nach bestimmten ICD-10 Codes. Die Nutzung dieses Tools ist aktuell freiwillig. - Benutzungshinweise
Es sind Hinweise zu den einzelnen ICD-10 Codes hinterlegt, z.B. die Abrechenbarkeit eines ICD-Codes oder ob es sich bei der eingegebenen Diagnose um eine meldepflichtige Erkrankung handelt. Diese Hinweise dienen nur der Information für die Arztpraxen und MVZ und können im Rahmen der Abrechnung ignoriert werden. - .Eine Verschlüsselungsanleitung
Mit der Umsetzung der Kodierrichtlinie gibt es nun in Ihrer Praxissoftware auch eine Verschlüsselungsanleitung, die Sie bei der korrekten Kodierung unterstützen soll, diese enthält zum Beispiel Hinweise dazu:- was verschlüsselt werden muss,
- wie zu verschlüsseln ist (endständige Kodierung, Ausnahmen der endständigen Kodierung),
- der Einsatz der Zusatzkennzeichen (Verdacht auf, Zustand nach, gesicherte Diagnosen, ausgeschlossene Diagnosen),
- die Angaben von rechts, links, beidseits, sowie
- sekundäre Schlüsselnummern, wie z.B. Sternchendiagnosen oder Diagnosen mit einem Ausrufezeichen
- Sowie Änderungen bei den Dauerdiagnosen
Die Übertragung der Dauerdiagnosen in die Abrechnung bleibt erhalten und wird um einen weiteren Punkt ergänzt, der Kennzeichnung von anamnestischen Diagnosen. Weitere Informationen zu den Diagnosen folgen. Die Nutzung der anamnestischen Diagnosen ist zunächst ebenfalls freiwillig.
Für welche Diagnosen wurde der Kodier-Check eingeführt?
Der Kodier-Check ist zunächst für nur 4 Diagnosebereiche eingeführt worden und startet mit den nachfolgenden Diagnosebereichen:
- Herzinfarkt
- Schlaganfall
- Diabetes mellitus
- Folgen des Bluthochdrucks
und soll zukünftig um weitere Diagnosebereiche erweitert werden.
Warum aktuell nur diese 4 Diagnosebereiche?
Bei den 4 Diagnosebereichen handelt es sich um Erkrankungen mit hohen Fallzahlen und einer zum Teil komplizierten Kodierung für die Praxen.
Wie funktioniert der Kodier-Check?
Der Kodiercheck ist so programmiert, dass er im Hintergrund läuft und nur aktiv wird, wenn Diagnosen aus den 4 genannten Bereichen falsch kodiert werden.
Falsch bedeutet z. B. dass die Zusatzkennzeichen, wie gesichert, Verdacht auf, Zustand nach etc., falsch gesetzt wurden oder dass ergänzende Diagnosen fehlen.
Beispiel 1:
Der akute Myokardinfarkt wurde über mehrere Quartale als Dauerdiagnose gekennzeichnet.
Hier würde das Kodier-Regelwerk zukünftig einen Hinweis geben, dass die Kodierung überprüft werden sollte, da dieser ICD-Code nur einen vorübergehenden Zustand beschreibt und als Dauerdiagnose nicht geeignet ist. Dieser Fehler kann dann direkt und einfach behoben werden.
Beispiel 2:
Es wurde die Diagnose Diabetes mellitus mit Augenkomplikationen kodiert, die Angabe der Augenkomplikationen fehlt aber.
Hier würde das Kodier-Regelwerk zukünftig einen Hinweis geben, dass die Kodierung überprüft werden sollte, da für die Abbildung von diabetischen Augenkomplikationen spezifische ICD-Codes vorgesehen sind, die ergänzt werden sollten/müssen. Der Arzt oder der Mitarbeiter hat die Möglichkeit den/die Kode/s direkt zu ändern, oder die Änderung auf den Zeitpunkt der Abrechnung zu verschieben, natürlich kann der Arzt oder der Mitarbeiter die Meldung auch ignorieren.
Diese Hinweise der Software kennen Sie bereits von der Eingabe der Abrechnungsziffern. Werden hier Ziffern falsch miteinander kombiniert oder fälschlicherweise doppelt abgerechnet, gibt das Softwareprogramm auch hier Hinweise zur Korrektur. In dieser Form sollen Sie nun auch durch den Kodier-Check unterstützt werden. Letzten Endes ist aber jedes Softwarehaus in der Programmierung der Kodierunterstützung frei. Natürlich gibt es feste Vorgaben von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) – im Aussehen und in der Programmierung ist jedes Softwareunternehmen jedoch frei in der Gestaltung.
Eine weitere eklatante Änderung betrifft die Handhabung der Dauerdiagnosen.
Die Dauerdiagnosen können wie üblich auf den Abrechnungsschein übernommen werden, jedoch wird es hier zukünftig eine tiefgreifende Änderung geben.
Denn – es sollen nur noch die Dauerdiagnosen mit auf den Abrechnungsschein übertragen werden, wegen derer der Patient/die Patientin im laufenden Quartal auch in Behandlung war. Dauerdiagnosen, die zwar wichtig sind, aber zu keinem Behandlungsaufwand im Quartal geführt haben, sollen als anamnestische Dauerdiagnosen gekennzeichnet werden.
Diese anamnestischen Diagnosen sind und bleiben Dauerdiagnosen, die jederzeit aktiviert und damit an die KV übermittelt werden können, sofern diese Erkrankung zu einem Behandlungsaufwand geführt hat. Aktuell ist diese Änderung laut KBV noch freiwillig.
Fallbeispiele für die korrekte Kodierung der Diagnosen:
Beispiel 1:
Kommt ein 42-jähriger Patient mit akuten Beschwerden in die Praxis und in der Folge ergibt sich ein akuter Herzinfarkt, der einen sofortigen Krankenhausaufenthalt nach sich zieht, so wird dieser folgendermaßen kodiert:
Kodierung
- I21.0 G Akuter transmuraler Myokardinfarkt der Vorderwand
Diese Diagnose kann nur für 28 Tage nach dem Akutereignis kodiert werden, danach kommen andere ICD-Codes zum Tragen:
I21.- Akuter Myokardinfarkt = akut oder bis zu 4 Wochen (28 Tage) zurückliegend
I25.2- Alter Myokardinfarkt = mehr als 4 Wochen (28 Tage) zurückliegend:
- I25.20 Alter Myokardinfarkt, 29 Tage bis unter 4 Monate zurückliegend
- I25.21 Alter Myokardinfarkt, 4 Monate bis unter 1 Jahr zurückliegend
- I25.22 Alter Myokardinfarkt, 1 Jahr und länger zurückliegend
- I25.29 Alter Myokardinfarkt, nicht näher bezeichnet
Quelle: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-who/kode-suche/
htmlamtl2019/, abgerufen am 11.08.2022 um 16:59 Uhr
Beispiel 2
Eine 56-jährige Patientin kommt zur Versorgung mit ihren Medikamenten in Ihre Praxis, der Myokardinfarkt liegt bereits mehrere Jahre zurück, zusätzlich ist die Patientin regelmäßig bei ihrer Kardiologin in Behandlung:
Kodierung
- I25.22 G Alter Myokardinfarkt, 1 Jahr und länger zurückliegend
- Z92.2 G Dauertherapie (gegenwärtig) mit anderen Arzneimitteln in der Eigenanamnese
Beispiel 3:
Ein Patient, 66 Jahre alt, kommt zur Behandlung in Ihre Praxis. Er ist erkrankt an: Diabetes mellitus Typ 1 und einer diabetischen Polyneuropathie.
Diese Erkrankung wird zusätzlich noch von einem Neurologen mitbehandelt, der Patient benötigt hierzu eine Überweisung.
Kodierung:
- E10.40+ G Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus (Typ-1-Diabetes), mit neurologischen Komplikationen, nicht als entgleist bezeichnet
- G63.2* G Diabetische Polyneuropathie Beachten Sie hier die sekundären Schlüsselnummern!
Quelle: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-who/kode-suche/
htmlamtl2019/, abgerufen am 11.08.2022 um 16:59 Uhr
Was sind sekundäre Schlüsselnummern?
Diese ICD-Codes dürfen nicht allein eingetragen werden, sondern müssen mit anderen ICD-Codes, sogenannten Primärkodes kombiniert werden.
Sekundäre Schlüsselnummern sind Diagnosen mit Sternchen oder Ausrufezeichen, siehe obiges Beispiel. Diese sekundären Schlüsselnummern sind Folgeerkrankungen. Daher müssen in der Abrechnung immer die Grunderkrankung (hier der Diabetes mit neurologischen Komplikationen) und die Folgeerkrankung durch den Diabetes (hier die Polyneuropathie) als Sternchendiagnose zusammen eingetragen werden.
Beispiel:
- S42.3G Humerusschaftfraktur / Fraktur des Humerusschaftes
- S41.87!G Weichteilschaden I. Grades bei offener Fraktur oder Luxation des Oberarmes
oder - E10.30G Diabetes mellitus, Typ 1, mit Augenkomplikationen, nicht als entgleist bezeichnet
- H36.0*G Diabetische Retinopathie
- H28.0*G Diabetischer Katarakt
Quelle: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-who/kode-suche/
htmlamtl2019/, abgerufen am 11.08.2022 um 16:59 Uhr
Tipps für die Anwendung im Praxisalltag:
- Sind alle behandlungsrelevanten Diagnosen eingetragen?
- Sind alle behandlungsrelevanten Dauerdiagnosen eingetragen?
- Haben Sie die Diagnosen zwischen abrechnungsrelevant und anamnestisch getrennt?
- Sind die Diagnosen auf dem aktuellen Stand?
- Sind alle gesicherten Diagnosen mit „G“ gekennzeichnet?
- Sind auch die präventiven Leistungen kodiert?
- Stimmen die Zusatzkennzeichen G; Z; V; A noch?
- Sind bei chronischen Erkrankungen auch alle Komplikationen und Folgen kodiert?
- Wurde das Kodier-Tool genutzt oder wurde es deaktiviert?
- Nutzen Sie die Websites der KVen zur Kodierung!
- Setzen Sie die Theasuren des ZI ein!
- Besuchen Sie Veranstaltungen zur Abrechnung und Diagnosekodierung, um sich auf dem Laufenden zu halten!
Aus dem Magazin:
Kundenmagazin up date 04/2022
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