Ausfallhonorar bei nicht rechtzeitiger oder unterbliebener Absage des Behandlungstermins
Ein ständiges Ärgernis im Praxisalltag: Es wurde ein zeitaufwändiger Termin mit einem Patienten vereinbart (z. B. für eine Präparation oder eine Operation) – zum Termin erscheint der Patient dann unentschuldigt nicht oder sagt den Termin nur sehr kurzfristig ab. Dann stellt sich häufig die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein „Ausfallhonorar“ geltend gemacht werden kann.
Vorrausetzungen für die erfolgreiche Geltendmachung eines „Ausfallhonorars“
1. Feste Terminvereinbarung mit Wirkung des § 615 BGB
Behandlungsverträge sind Verträge über Dienste höherer Art im Sinne des § 627 Abs. 1 BGB. Bei diesen besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer jederzeitigen Kündigung nach BGB § 627 Abs. 1 BGB durch den Patienten, so dass der Behandler nach der Rechtsprechung nicht ohne weiteres mit der Einhaltung vereinbarter Termine rechnen und auch nicht für die Nichteinhaltung ohne Weiteres eine Entschädigung verlangen kann. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dieser mit dem Patienten ausdrücklich vereinbart hat, dass diese Absprache die Wirkungen des § 615 BGB haben soll. Dies setzt voraus, dass Sie sich mit dem Patienten bereits bei der Terminabsprache darüber einig gewesen sind, dass der Patient auch im Falle des Nichterscheinens bzw. der nicht rechtzeitige Absage (Annahmeverzug) das volle Honorar (Erfüllungsinteresse) oder ein pauschaliertes Ausfallhonorar zu bezahlen hat. Die Vereinbarung der Verbindlichkeit der Termine führt zu einer Obliegenheit, rechtzeitig vor Behandlungsbeginn abzusagen.
2. Bestellpraxis-Prinzip
Die Rechtsprechung fordert weiter, dass die Praxis nach dem
Prinzip einer Bestellpraxis arbeitet, also eine exklusive Terminvergabe mit Terminvorläufen erfolgt. Das bedeutet, dass die Terminvergabe nicht lediglich der „Sicherung eines zeitlich geordneten Behandlungsablaufs“ dient, was z. B. der Fall wäre, wenn die Patienten trotz Terminvergabe nach der Reihenfolge des Patienteneintreffens behandelt werden, sondern durch die „exklusive Terminvereinbarung eine kalendermäßige Bestimmung der Leistungszeit“ erfolgt, in der dann eben grundsätzlich auch tatsächlich kein anderer Patient behandelt werden kann.
3. Patient erscheint unentschuldigt oder ohne rechtzeitige Absage nicht zum Termin
a.)
Ist der Patient unentschuldigt nicht zum Termin erschienen, kann der Arzt für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein (so zutreffend LG Konstanz NJW 1994, 3015; AG Ludwigshafen/Rhein MedR 2002, 423; AG Nettetal NJW-RR 2007, 1216). Der Annahmeverzug setzt ein Verschulden des Gläubigers nicht voraus (Laufs/Kern/Rehborn ArztR-HdB, § 74 Rn. 73, 74; Arnold GesR 2008, 232, 235, Wertenbruch MedR 1991, 167, 169; aA. jedoch das LG Berlin, MedR 2006, 63, welches in der Verschuldensunabhängigkeit einer Ausfallhonorarvereinbarung gerade den Verstoß gegen den wesentlichen Grundgedanken des § 615 BGB sehen will).
b.)
Hat der Patient den Termin nur „nicht rechtzeitig“ also innerhalb der vereinbarten Frist abgesagt, setzt dies in der Regel voraus, dass insoweit eine Vereinbarung geschlossen worden ist, innerhalb welcher Frist ein Termin noch ohne Eintritt des Annahmeverzugs abgesagt werden kann. Die Einschränkung der Absagemöglichkeiten vor Beginn der Behandlung betrifft dabei auch die Einschränkung der Kündigungsmöglichkeiten des Patienten gem. § 627 BGB, welches im Gegensatz zum Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) grundsätzlich vertraglich eingeschränkt werden kann. Die Vereinbarung mit dem Patienten sollte daher unbedingt klarstellen, dass das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) nicht eingeschränkt wird, damit nicht Zweifel an der Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung entstehen. Überdies muss ein konkreter Zeitraum für die noch rechtzeitige Absage des ausschließlich für den Patienten reservierten Termins bestimmt werden. Bewährt hat sich hier die 24h-Regelung, wonach ein Ausfallhonorar in Rechnung gestellt werden kann, wenn der Patient nicht spätestens 24 Stunden vor Beginn der Behandlung abgesagt hat.
Musterformulierung:
„Unsere Praxis wird nach dem Bestellsystem geführt. Dies bedeutet, dass die vereinbarte Zeit ausschließlich für Sie reserviert ist und Ihnen hierdurch vermeidbare Wartezeiten erspart bleiben. Vereinbarte Termine, die Sie nicht einhalten können, müssen mindestens 24 Stunden vorher abgesagt werden, damit wir die für Sie reservierte Zeit noch anderweitig verplanen können. Diese Vereinbarung dient nicht nur der Vermeidung von Wartezeiten im organisatorischen Sinne, sondern begründet zugleich beiderseitig vertragliche Pflichten. So kann Ihnen, wenn Sie den Termin nicht rechtzeitig absagen, die vorgesehene Zeit und die Vergütung bzw. die ungenutzte Zeit in Rechnung gestellt werden. Es wird ausdrücklich vereinbart, dass Annahmeverzug dadurch eintritt, dass der vereinbarte Termin ohne fristgerechte Absage nicht eingehalten wird. Auf ein Verschulden kommt es nach § 615 BGB dabei ausdrücklich nicht an. Das Recht zur Kündigung des Behandlungsvertrags aus wichtigem Grund bleibt hiervon unberührt.“
4. Keine einvernehmliche Verlegung des Termins
Teilweise lehnt die Rechtsprechung ein Ausfallhonorar auch ab, wenn der Termin einvernehmlich (auch nach Ablauf der 24 Stunden-Frist für die rechtzeitige Terminabsage) auf einen neuen Termin verlegt worden ist, da durch eine solche Terminänderung für die Mitwirkungshandlung des Patienten im Sinne des § 296 BGB nicht mehr der ursprüngliche, sondern der Ersatztermin maßgeblich sein soll (so OLG Stuttgart, Urteil vom 17. 4. 2007 – 1 U 154/06 =NJW-RR 2007, 1214), da der Termin hierdurch einvernehmlich auf einen neuen Termin verschoben worden sei. Dann könne mangels Annahmeverzug eben auch kein Ausfallhonorar mehr fallen.
Höhe des Ausfallhonorars
Nach § 615 S 1 BGB schuldet der Patient „die vereinbarte Vergütung für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste“. Hat der Behandler für den Patienten einen bestimmten Termin freigehalten und hatte er keine Möglichkeit, einen anderen Patienten zu diesem Termin zu bestellen, so kann er grundsätzlich den Wert seiner Dienste entsprechend verlangen. Die Beweislast hierfür trägt dabei der Behandler (OLG Stuttgart NJW-RR 2007, 1214). Insoweit kann eine fiktive Abrechnung der im Einzelnen geplanten Behandlungsleistungen vorgenommen werden. Der Behandler muss sich jedoch gem. § 615 S. 2 BGB den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erworben oder zu erwerben „böswillig unterlassen“ hat (vgl. AG München MedR 2017, 325 = BeckRS 2016, 08072). Hierfür trägt dann allerdings nicht der Behandler sondern der Patient die Beweislast (vgl. MüKoBGB/Henssler, 8. Aufl. 2020, BGB § 615 Rn. 132).
GOÄ 56 sieht für den Fall, dass ein Arzt ohne konkrete medizinische Dienstleistung bei einem Patienten verweilt, eine Vergütung in Höhe von 18,88 EUR je halber Stunde (1,8-facher Satz) vor. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der verweilende Arzt – im Gegensatz zu seinem von einem unerwarteten „Patientenausfall“ betroffenen Behandler – in dieser Zeit keinen funktionierenden Praxisbetrieb vorhalten muss, ist die knapp doppelt so hohe Pauschale, d.h. 35 EUR je halber Stunde als „Ausfallhonorar“, das dem nicht erschienenen Patienten in Rechnung gestellt werden darf, nach der Entscheidung des AG Neukölln, Urt. v. 7.10.2004 – 4 C 179/04 (vgl. John, ZMGR 2017, 25-32) jedenfalls nicht zu beanstanden. Dieser Betrag wird häufig den tatsächlichen Ausfall nicht hinreichend kompensieren können.
Der Behandler kann ergänzend mit dem Patienten auch ein pauschaliertes Ausfallhonorar vereinbaren. Dies bietet sich insbesondere für zeitlich umfangreiche Termine mit absehbar erhöhtem Aufwand (z. B. Reservierung und Vorbereitung eines OP-Raums, Personal, etc.) an. Dabei ist zu empfehlen, die Vereinbarung im Einzelfall für jeden Termin gesondert zu treffen.
Ergänzung zur Musterformulierung:
„Für den Fall nicht rechtzeitiger oder unterbliebener Absage des Behandlungstermins am [Datum des Termins] um [Uhrzeit des Termins] Uhr wird im Hinblick auf von § 615 S. 1, S. 2 BGB ein pauschaliertes Ausfallhonorar in Höhe von [Höhe des zu vereinbarenden Ausfallhonorars] vereinbart. Dem Patienten bleibt vorbehalten, dem Behandler nachzuweisen, dass diesem im Hinblick auf § 615 S. 2 BGB tatsächlich nur eine geringere Vergütung zusteht.“
Durchsetzbarkeit
Leider ist die Rechtsprechung nach wie vor nicht einheitlich in der Frage, ob dem Behandler für durch das unentschuldigte oder nicht rechtzeitig entschuldigte Fernbleiben des Patienten ausgefallene Behandlungen ein voller Vergütungsanspruch bzw. ein vereinbartes Ausfallhonorar oder überhaupt ein Schadensersatzanspruch nach § 615 BGB auf entgangenen Gewinn zusteht. Insbesondere sind die hierzu ergangenen zahlreichen Amtsgerichtsurteile wegen Nichtüberschreitens des Berufungsschwellenwertes von 600,- € in der Regel nicht berufungsfähig, so sich hier bislang noch keine einheitliche insbesondere durch höhere Instanzen „gehärtete“ Rechtsprechung herausgebildet hat. Aufgrund der unklaren Rechtsprechung bietet auch eine dem vorstehend Ausgeführten entsprechende Vereinbarung zwischen Behandler und Patient letztlich keine Garantie für eine erfolgreiche gerichtliche Durchsetzung eines Ausfallhonorars. Zudem dürfte der mit der Durchsetzung verbundene Aufwand im Verhältnis zum erzielbaren Ausfallhonorar häufig auch nicht wirtschaftlich sein. Der eigentliche Vorteil einer solchen Vereinbarung kann jedoch in der Warnfunktion gegenüber dem Patienten liegen, der angesichts der Vereinbarung eher angehalten sein wird, seine Termine entweder wahrzunehmen oder rechtzeitig abzusagen.
Oliver Graf
Rechtsanwälte Semsi | Graf | Buchmüller-Reiss
Partnerschaftsgesellschaft mbB
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