Das Pflegelöhneverbesserungsgesetz wurde beschlossen
Der Bundesrat hat am 8.11.2019 das Pflegelöhneverbesserungsgesetz gebilligt. Das Gesetz hat zum Ziel, die Arbeitsbedingungen (insbesondere die Entlohnung der Pflegekräfte) weiter zu verbessern, indem hier unter anderem der Weg für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Pflege geebnet werden soll; dies mit weitreichenden Folgen für Pflegeinrichtungen und Pflegebedürftige.
Bisherige Situation
In der Pflege gibt es bisher keinen Flächentarifvertag. Letzteres ist zum einen auf die zersplitterte Arbeitgeberlandschaft zurückzuführen, in der neben öffentlichen, kirchlichen und gemeinnützigen auch private Arbeitgeber zu finden sind, sowie darauf, dass in der Pflege die wenigsten Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sind, so dass Gewerkschaften, wie z. B. ver.di, wenig Einfluss auf die Lohnpolitik haben. Derzeit gibt es
nur vereinzelt Tarifverträge, die vorrangig von öffentlichen oder gemeinnützigen Arbeitgebern abgeschlossen wurden. Daneben gibt es noch einen Sonderweg für die kirchlichen Arbeitgeber, die auf Grund ihres Selbstbestimmungsrechtes eigene Wege gehen, in dem sie statt klassischen Tarifverträgen sogenannte Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) erstellt haben, die dann für die jeweiligen Mitarbeiter gelten. Dies gilt vornehmlich für die Diakonie oder Caritas.
Unterschied zwischen Tarifvertrag und AVR
Ein Tarifvertrag wird zwischen den beiden Tarifvertragsparteien geschlossen. Das ist auf der einen Seite ein Zusammenschluss von Vertretern der Arbeitnehmer, in der Regel eine Gewerkschaft oder Arbeitnehmervertreter eines Betriebs. Auf der anderen Seite steht entweder der Arbeitgeber selbst (dann handelt es sich um einen Firmentarifvertrag) oder, was häufiger vorkommt, um einen Zusammenschluss von Vertretern der Arbeitgeber – die sogenannten Arbeitgeberverbände.
Der Grund für die Anwendbarkeit eines Tarifvertrags auf ein Arbeitsverhältnis ist entweder die gegenseitige Tarifbindung, die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen geltenden Tarifvertrag oder eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung.
Vorteil eines Tarifvertrages liegt in der Normqualität, das heißt, er gilt unmittelbar für die jeweiligen Vertragspartner. Laut Gesetz sind Tarifverträge im Rahmen vom Vergütungsverhandlungen nach SGB XI und SGB V grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Tariflöhne sind immer wirtschaftlich.
Der Nachteil des Tarifvertrages liegt in der Regel in häufig langwierigen Verhandlungen mit Gewerkschaften sowie der Möglichkeit eines Arbeitskampfes, insbesondere durch Streiks.
Unter bestimmten Voraussetzungen können Tarifverträge vom Bundesministerium für Arbeit für allgemein verbindlich erklärt werden, wenn dies im öffentlichen Interesse geboten ist. Dann gilt dieser Tarifvertrag für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer der jeweiligen Branche.
Im Gegensatz zu den Tarifverträgen sind Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) allgemeine Regelungen über die Durchführung und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Diese werden vorrangig von den kirchlichen Einrichtungen Diakonie und Caritas verwendet.
Die AVR legen die Arbeitsbedingungen verbindlich fest. Sie enthalten unter anderem Bestimmungen über die Höhe der Arbeitsentgelte und die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit, über den Umfang des Erholungsurlaubs und über die Absicherung im Krankheitsfall. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen Anspruch auf die darin beschriebenen Leistungen. Bei den AVR handelt es sich nicht um einen Tarifvertrag im klassischen Sinne. Sie werden durch schriftliche Bezugnahme Bestandteil des Arbeitsvertrages.
Alle Regelungen der AVR werden bei Diakonie und Caritas in arbeitsrechtlichen Kommissionen beschlossen. In diesem Gremium haben Mitarbeiter und Arbeitgeber gleich viele Vertreterinnen und Vertreter. Bei arbeitsrechtlichen Meinungsverschiedenheiten können Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Arbeitgeber kirchliche Schlichtungsstellen anrufen. Diese sollen eine gütliche Einigung herbeiführen. Darüber hinaus sind die staatlichen Gerichte zuständig.
Der Vorteil von AVR‘s liegt darin, dass keine aufwendigen Verhandlungen mit Gewerkschaften notwendig sind. Streiks sind unmöglich und die Anwendung für Mitglieder ist freiwillig. Der Nachteil der AVR‘s liegt in der fehlenden Normqualität, daher kann es ggf. Probleme in den Vergütungsverhandlungen mit den Kostenträgern geben.
Pflegelöhneverbesserungsgesetz: zwei Wege zum Ziel
Ziel des Pflegelöhneverbesserungsgesetzes ist es, die im Rahmen der konzentierten Aktion Pflege vereinbarten Maßnahmen für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege umzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, zeigt das Gesetz zwei Wege auf, zum einen das Ziel eines branchenweit geltenden Tarifvertrages und zum anderen höhere Mindestlöhne durch Rechtsverordnung für Pflegefach- und Hilfskräfte, die auf Empfehlungen der Pflegekommission basieren.
a. Die Tarifvertragslösung
Mit der Tarifvertragslösung wird das Ziel verfolgt, einen zwischen den Tarifpartnern der Branche und der Gewerkschaft ausgehandelten Vertrag abzuschließen, den dann das Bundesarbeitsministerium im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsministerium für allgemein verbindlich erklären kann. In der Konsequenz bedeutet dies, das dieser Tarifvertrag dann für alle Pflegekräfte gilt und von allen Arbeitgebern, außer den kirchlichen Arbeitgebern, umgesetzt werden muss. Diese Lösung wird derzeit vom Bundesgesundheitsministerium favorisiert.
So hat sich in diesem Jahr auch bereits eine Vereinigung von gemeinnützigen Arbeitgebern in der Pflege, die sog. Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflege (BVAP), gegründet, in der neben nicht privaten Pflegeanbietern auch Wohlfahrtsverbände zu finden sind. Private Arbeitgeber sind nicht beteiligt. Die BVAP hat bereits Verhandlungen mit der Gewerkschaft ver.di aufgenommen, mit dem ehrgeizigen Ziel, noch in diesem Jahr einen Tarifvertrag auszuhandeln. Dieser soll dann vom zuständigen Ministerium für allgemein verbindlich erklärt werden, vorausgesetzt, die Organisationen der kirchlichen Träger stimmen zu, denn diese verfügen auf Grund entsprechender Regelungen im Pflegelöhneverbesserungsgesetz über ein Vetorecht. Letzteres ist insoweit nicht nachvollziehbar, als der dann für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag gar nicht für die kirchlichen Arbeitgeber gelten wird.
b. Kommissionslösung
Ein zweiter Weg, um bessere Arbeitsbedingungen für die Pflege zu erreichen ist die sog. Kommissionslösung. So soll zukünftig eine ständige Pflegekommission mit acht Mitgliedern eingerichtet werden, die dann Empfehlungen zu Mindestlöhnen für Fach- und Hilfskräfte, aber auch zu sonstigen Arbeitsbedingungen, wie z. B. Dauer des Erholungsurlaubes, geben kann. Dabei soll zukünftig eine Differenzierung bei der Höhe des Mindestlohnes nach alten und neuen Bundesländern abgeschafft werden.
Die Besetzung der Pflegekommission setzt sich dabei aus jeweils zwei Mitgliedern aus dem Gewerkschaftslager, aus dem Arbeitgeberlager, aus dem kirchlichen Dienstgeberlager sowie der kirchlichen Dienstnehmerseite zusammen. Bei einer Konkurrenzsituation zwischen einer Tarifvertragslösung und der Kommissionslösung soll dann vorrangig die Tariflösung gelten.
Bewertung
So wünschenswert und nachvollziehbar es ist, die Arbeitsbedingungen in der Pflege nachhaltig zu verbessern, so sind das Pflegelöhneverbesserungsgesetz und die darin enthaltenen zwei Lösungen rechtlich doch erheblich bedenklich und werden zu Recht kritisiert. So wird durch das Gesetz massiv in die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie der Arbeitgeber eingegriffen, die die Verhandlung und Bindung an Tarifverträge der freiwilligen Entscheidung der Tarifvertragsparteien unterwirft und zwar ohne staatlichen Einfluss.
Soweit derzeit die BVAP mit ver.di verhandelt, repräsentieren beide Seiten nur einen kleinen Teil an Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Private Arbeitgeber sind überhaupt nicht beteiligt, obwohl diese einen nicht unerheblichen Anteil an der Gruppe der Arbeitgeber darstellen. Ebenfalls kritisch zu sehen ist die starke Position der kirchlichen Arbeitgeber, die über ein Vetorecht bei der Tariflösung verfügen, obwohl sie selbst von einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gar nicht betroffen sind.
Auch die Kommissionslösung lässt befürchten, dass private Träger bei der Besetzung der Pflegekommission übergangen werden, mit der Folge, dass sie an den Verhandlungen nicht aktiv beteiligt werden.
Weiterhin bleibt noch ungeklärt, welche Auswirkungen das Gesetz auf die Versicherten und Pflegebedürftigen haben wird. Egal, welche der dargestellten Lösungen am Ende zum Zuge kommt: Es dürfte klar sein, dass die „Pflege für alle“, insbesondere aber die für Pflegebedürftige, deutlich teurer wird. Hier muss seitens des Gesetzgebers sichergestellt werden, dass im Gegenzug auch die Pflegesätze, am besten durch regemäßige Dynamisierung, angepasst werden oder aber, dass die Pflegeversicherung von einer „Teilkaskoversicherung“ zu einer „Vollversicherung“ umgebaut wird. Ansonsten wird der Teil der Pflegebedürftigen, die bereits derzeit auf Sozialleistungen im Bereich der Pflege nach SGB XII angewiesen sind, noch um ein Vielfaches steigen.
Genau dieses wollte der Gesetzgeber aber mit der Einführung der Pflegeversicherung eigentlich verhindern.
Darüber hinaus ist seitens der Politik und insbesondere der Kostenträger sicherzustellen, dass entsprechende Lohnsteigerungen auch in den Vergütungshandlungen Berücksichtigung finden und über die Pflegevergütung auskömmlich refinanziert werden.
Das Pflegelöhneverbesserungsgesetz wurde am 28.11.2019 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und ist einen Tag nach der Verkündung am 29.11.2019 in Kraft getreten.
Frau Maike Beisner
Arbeitgeber- und BerufsVerband Privater Pflege e.V. Hannover
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