Die moderne Praxis – Digitalisierung im Recht
Digital geführte Patientenakten sind Voraussetzung für eine digitale Kommunikation von der Aufnahme über die Aufklärung bis zur digitalen Rechnungslegung.1) Digital klingt v.a. nach Technik, nicht nach Recht. Ohne ein grundsätzliches Verständnis und Offenheit für rechtliche Stolpersteine kann es jedoch schnell (straf)rechtlich belastend werden. Ein paar Denkanstöße zur Schärfung des Rechtsbewusstseins:
Digitale Dokumentation und Übermittlung der Patientenakte vs. Datenschutz
Patienten haben Anspruch auf eine kostenlose Erstkopie ihrer vollständigen Patientenakte.2) Konfrontiert mit einem Herausgabeverlangen, sollte die Praxisorganisation so aufgestellt sein, dass die Dokumentation idealerweise elektronisch an einem Ort in vollständiger Form verfügbar ist und rechtssicher verschlüsselt übermittelt werden kann. Dokumentation ist das A und O, sie kann in einem Honorar- und/oder Haftungsprozess der entscheidende Faktor sein. Ob Papier oder digital, die Dokumentation ist zeitnah (regelhaft binnen weniger Tage nach dem Behandlungsdatum) vorzunehmen. Es kommt allerdings im Alltag häufiger vor, als gedacht – Die Dokumentation ist unvollständig und/oder unrichtig. Das tritt zutage, wenn die Abrechnung ansteht oder Patienten Einsicht in ihre Patientenakte begehren. Im Eifer des Gefechts wird in der elektronischen Dokumentation nicht selten ein Eintrag schlicht neu ge- oder überschrieben. Bei nachträglichen Berichtigungen und Änderungen ist indes Vorsicht geboten. Diese sind nur zulässig, wenn der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleibt, und, was wann neu vorgenommen worden ist (§ 630f Abs. 1, S. 2, 3 BGB). Die Praxissoftware muss insofern gewährleisten, dass die Änderungen mit Datum und ggf. Uhrzeit jederzeit nachvollziehbar sind. Nur einer ordnungsgemäßen, zeitnah erstellten Dokumentation, die keinen Anhalt für Veränderungen, Verfälschungen oder Widersprüchlichkeiten bietet, kommt zugunsten der Behandlungsseite Indizwirkung zu („Was drin steht, wurde auch gemacht“)3).
Die Patientenakte einschließlich Röntgenaufnahmen darf via E-Mail ausschließlich verschlüsselt übermittelt werden. Als datenschutzkonform gelten Inhaltsverschlüsselungen (Ende-zu-Ende-Verschlüsselung) oder gesondert abgesicherte Netzwerke (z.B. VPN), die Kommunikation im Medizinwesen (KIM) oder der Messenger der Telematikinfrastruktur.4) Man liest oft, das Verschlüsselungsproblem sei über eine zuvor eingeholte Einwilligungserklärung der Patienten (ausdrückliche oder konkludente Zustimmung zum unverschlüsselten Versand) zu lösen. Das ist rechtlich nicht abschließend geklärt. Aber hierzu hat sich der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) klar ablehnend geäußert.5) Datenschutzrechtlich festgelegte Grundsätze zur sicheren Datenverarbeitung reflektieren nicht abdingbare Pflichten (Art. 32, 5 Abs. 1 lit. f DSGVO). Es ist sonach nicht möglich, durch eine entsprechende Einwilligung des Patienten gesetzliche Vorgaben auszuhebeln. Manche Datenschützer stufen eine fehlende Verschlüsselung von E-Mails für Berufsgeheimnisträger wie (Zahn-)Ärzte sogar als Straftat nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB ein. Das Risiko, sich datenschutz- und strafrechtlichen Sanktionen auszusetzen, sollte daher keine Praxis eingehen.
Digitale Aufklärung und Einwilligung vs. Schriftform
Die medizinische Aufklärung vor Durchführung etwaiger Maßnahmen hat mündlich zu erfolgen (Mündlichkeitsprinzip, § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB), sie ist grundsätzlich formfrei. Hingegen sind bei der wirtschaftlichen Informationspflicht über zu erwartende Behandlungskosten (§ 630c Abs. 3 BGB) Formvorgaben zu beachten. Schriftformerfordernisse finden sich im Bereich der privatzahnärztlichen Behandlung z.B. für die Mehrkostenvereinbarung in § 28 Abs. 2 S. 4 SGB V, die Honorarvereinbarung in § 2 Abs. 2 S. 1 GOZ, den Heil- und Kostenplan für Verlangensleistungen in § 2 Abs. 3 S. 1 GOZ und für die Behandlung von GKV-Patienten in § 8 Abs. 7 S. 3 BMV-Z (Vereinbarung einer Privatbehandlung). In der privatärztlichen Abrechnung ergibt sich ein Schriftformzwang z.B. für die Honorarvereinbarung aus § 2 Abs. 2 S. 1 GOÄ und für die Behandlung von GKV-Patienten aus §§ 3 Abs. 1 S. 3, 18 Abs. 8 S. 3 Nr. 3 BMV-Ä (IGeL, Leistungen außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung).
In den Fällen sind vor Behandlungsbeginn die Vereinbarungen schriftlich abzuschließen. Das bedeutet, (Zahn-)Arzt und Patient müssen eigenhändig unterzeichnet haben (Namensunterschrift auf Papier, § 126 BGB). Der Einsatz digitaler Geräte mag dazu verleiten, auf händische Unterschriften zu verzichten. Tatsächlich bleibt es aber für die privat(zahn-) ärztlichen Informationen und Vereinbarungen mit dem Patienten beim Schriftformerfordernis. Eine elektronische Unterschrift auf einem Unterschriften-, Signaturpad oder Tablet erfüllt diese Anforderungen nicht, die Unwirksamkeit der Vereinbarung führt regelhaft zum Verlust der Vergütungsanspruchs.
Fazit
Die Entwicklung eines digitalen Konzepts, das individuell auf die spezifischen Anforderungen einer Praxis zugeschnitten ist, beinhaltet die Sicherstellung der Rechtskonformität. Das ist keine exklusive Frage der Compliance. Denn es geht nicht nur darum, die Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen sicherzustellen, sondern auch darum, standardisierte Prozesse und Abläufe zu verbessern, ggf. zu schaffen, digital abzubilden und zu dokumentieren. Erfahrungsgemäß sind damit Arbeitserleichterungen, Effizienzgewinne und Risikomanagement verbunden. Das schlägt sich im Außenauftritt nieder, technisch und rechtlich aufgestellte Praxen erscheinen insgesamt moderner, organisierter und verlässlicher. Das schafft nicht nur Vertrauen auf Patientenseite, sondern wird auch bei Finanzierungen, Erweiterungen oder möglichen Verkäufen von Praxen reflektiert.
Ausblick
Im vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) sollen Schriftformerfordernisse u. a. im Arbeitsrecht für Arbeitsverträge, im Mietrecht für Gewerbemietverträge und im Gesellschaftsrecht für die GmbH aufgehoben oder durch Textformerfordernisse ersetzt werden. Mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz, DigiG) soll der Behandlungsalltag für (Zahn-)Ärzte sowie für Patienten mit digitalen Lösungen vereinfacht werden. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Formvorschriften an den technischen Fortschritt angepasst werden.
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