Unfall am Patienten – wer haftet?
Im Pflegealltag kann es schnell zu Unfällen kommen, die erhebliche Schäden nach sich ziehen. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit kann ausreichen, um die Verletzung eines Patienten herbeizuführen oder sein Eigentum zu beschädigen. Oftmals ist die Beseitigung der Schäden mit hohen finanziellen Aufwendungen verbunden, gerade wenn es sich um gesundheitliche Schäden handelt, die eine teure Heilbehandlung erforderlich machen. Daneben besteht häufig ein Schmerzensgeldanspruch. Als haftende Personen kommen vor allem der Pflegedienstinhaber, die Pflegedienstleitung und die eingesetzte Pflegekraft in Betracht. Insofern stellt sich die Frage, wer für den Ersatz der Schäden aufzukommen hat, wenn es im Rahmen der Pflege zu einem Unfall am Patienten gekommen ist.
Hinsichtlich der Haftung sind insoweit verschiedene Konstellationen zu unterscheiden
Fall 1: ohne Fahrlässigkeit
Sowohl die vertragliche Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB als auch die deliktische Haftung nach §§ 823 ff. BGB, die bei Pflegeunfällen in Betracht kommen, setzen für einen Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld das Vorliegen mindestens leichter Fahrlässigkeit voraus. Fahrlässigkeit meint gemäß § 276 Abs. 2 BGB das Außerachtlassen der für den jeweiligen Verkehrskreis erforderlichen Sorgfalt. Fahrlässig handelt demnach, wer ohne die in seinem Fall gebotene Vorsicht vorgeht. Für den Pflegebereich bedeutet die gebotene Sorgfalt beispielsweise auch, dass Pflegestandards einzuhalten sind und nicht vom aktuellen Erkenntnisstand der Pflegewissenschaft abweichen.
Ist dem Pflegedienst und seinen Mitarbeitern kein Sorgfaltsverstoß vorzuwerfen, liegt also nicht einmal leichte Fahrlässigkeit vor, hat sich in dem Schaden allein das allgemeine Lebensrisiko des Patienten verwirklicht. Der Patient hat seinen Schaden grds. selbst zu tragen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass ggf. Beweislastumkehrungen greifen. Das bedeutet, dass das Gesetz bei Vorliegen einer Pflichtverletzung, z.B. eines Pflegefehlers, unterstellt, dass diese schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) herbeigeführt wurde und der Pflegedienst bzw. der in Anspruch genommene Mitarbeiter beweisen muss, dass er nicht schuldhaft gehandelt hat. Eine ordnungsgemäße Pflegedokumentation kann hier unter Umständen hilfreich sein, den Entlastungsbeweis mit Erfolg zu führen. Gelingt der Beweis nicht, haftet die in Anspruch genommene Person in diesen Fällen auch dann, wenn sie tatsächlich nicht fahrlässig gehandelt hat, dies aber (vor Gericht) nicht beweisen kann.
Der Pflegedienst (Inhaber/Betreiber) muss auch dann Schadensersatz und ggf. Schmerzensgeld leisten, wenn er selbst zwar nicht fahrlässig gehandelt hat, der Schaden aber durch eine fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzung eines Mitarbeiters im Rahmen einer betrieblich veranlassten Tätigkeit entstanden ist. Das Verschulden seiner Mitarbeiter wird dem Pflegedienst nach § 278 BGB wie eigenes Verschulden zugerechnet. Der Pflegedienstinhaber kann dem Patienten gegenüber also auch dann haften, wenn er selbst sorgfaltsgemäß gehandelt hat. Als Vertragspartner des Pflegevertrages trägt der Pflegedienst die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung. Aus diesem Grunde haftet er dem Patienten gegenüber grds. auch für solche Schäden, die durch schuldhaftes Verhalten seiner Mitarbeiter als seiner Erfüllungsgehilfen i.S.d. § 278 BGB im Rahmen der übertragenen Tätigkeiten verursacht werden. In der Regel wird der Pflegedienstbetreiber hierfür seine Berufshaftpflichtversicherung in Anspruch nehmen können.
Exkurs zum innerbetrieblichen Schadensausgleich:
Im Innenverhältnis zu seinem Arbeitnehmer, der den Schaden schuldhaft verursacht hat (Pflegekraft/angestellte PDL), kann der Pflegedienst jedoch entsprechend dem Haftungsanteil des Arbeitnehmers von diesem Ersatz verlangen. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum innerbetrieblichen Schadensausgleich besteht zu Gunsten des Arbeitnehmers jedoch eine Haftungsbeschränkung. Die Höhe des Haftungsanteils des Arbeitnehmers hängt danach in erster Linie vom Grad seines Verschuldens ab. Hierbei wird unterschieden:
1. Leichte Fahrlässigkeit:
Bei Vorliegen leichter Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer nicht. Es haftet allein der Pflegedienst als Arbeitgeber. Bei leichter Fahrlässigkeit handelt es sich um geringfügige, leicht entschuldbare Pflichtwidrigkeiten bzw. bloße Unachtsamkeiten wie z. B. das versehentliche Herunterwerfen eines Wasserglases in der Hektik. Es handelt sich hierbei um Vorfälle, die jedem mal passieren können.
2. Mittlere Fahrlässigkeit:
Bei Vorliegen mittlerer Fahrlässigkeit wird die Haftung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt. Z. B.: Die Pflegekraft trägt ein Drittel und der Pflegedienst zwei Drittel des Schadens. Hier kommen Pflichtwidrigkeiten in Betracht, die sich im Bereich zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit bewegen. Für die Bildung einer konkreten, individuellen Haftungsquote werden die Umstände des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigt.
3. Grobe Fahrlässigkeit/Vorsatz
Bei Vorliegen von grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz haftet der den Schaden verursachende Arbeitnehmer grundsätzlich selbst. Grobe Fahrlässigkeit meint hierbei, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wurde. Dies ist der Fall, wenn schon ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden und wenn das nichtbeachtet wurde, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
Um das Haftungsrisiko für den Arbeitnehmer, der im Auftrage seines Arbeitgebers tätig wird, zu begrenzen, nimmt das Bundesarbeitsgericht jedoch Höchstgrenzen für die Haftung bei sehr hohen Schäden an. Häufig wird sich hierbei an einem Bruttomonatsgehalt bei mittlerer Fahrlässigkeit und bis zu drei Bruttomonatsgehältern bei grober Fahrlässigkeit orientiert. Nur bis zu diesem Betrag haftet der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber.
Fall 2: Fahrlässigkeit
Der Pflegedienst haftet dem geschädigten Patienten gegenüber nicht nur für das Verschulden seiner Mitarbeiter, sondern auch, wenn er selbst mindestens leicht fahrlässig den Schaden (mit-)verursacht hat, z.B. bei Schäden, die durch die Auswahl erkennbar unqualifizierten Personals entstehen (§ 831 BGB).
Die Pflegedienstleitung haftet für Pflegefehler am Patienten, die durch eine andere Pflegekraft entstehen, wenn ihr selbst ein den Schaden (mit-) verursachendes Verschulden angelastet werden kann. Beispiele für fahrlässiges Handeln wären unzureichende Organisation und Planung der Pflege, die fehlerhafte Auswahl einer ungeeigneten Pflegekraft für einen konkreten Einsatz. Wenn hierdurch ein Schaden beim Patienten entsteht, haftet (auch) die PDL. Hat die eingesetzte Pflegekraft durch einen Sorgfaltsverstoß einen Schaden beim Patienten im Rahmen der Pflege verursacht, z.B. durch einen falschen Griff den Sturz eines Patienten und dessen Verletzung, so haftet sie dem Patienten gegenüber im Ausgangspunkt auch voll für den entstandenen Schaden. Nach den Grundsätzen zum innerbetrieblichen Schadensausgleich (s.o.) kann sie – ebenso wie die angestellte PDL – von ihrem Arbeitgeber jedoch eine Freistellung von den Kosten verlangen, die sie nach der konkret gebildeten Haftungsquote nicht zu tragen hat. Ein Mitverschulden des Arbeitgebers ist ebenfalls zu berücksichtigen.
Fall 3: Vorsatz
Wie im Falle der fahrlässigen Verursachung eines Schadens haften Pflegedienst, PDL und eingesetzte Pflegekraft erst recht, wenn der Schaden nicht nur fahrlässig, sondern darüber hinaus sogar vorsätzlich, d.h. wissentlich und willentlich, durch ihre Handlung oder Unterlassung herbeigeführt wurde. Handelte der Arbeitnehmer (Pflegekraft, angestellte PDL) vorsätzlich, trägt er den Schaden auch im Innenverhältnis zu seinem Arbeitgeber grds. selbst. Es lässt sich also festhalten, dass es hinsichtlich der Haftung bei einem Unfall am Patienten im Wesentlichen darauf ankommt, wer den Schaden in welchem Umfang verursacht hat. Da zu Gunsten des Arbeitnehmers eine Haftungsbeschränkung erfolgt, ist im Regelfall der Pflegedienst in der größeren Verantwortung.
Hinweis:
Neben der zivilrechtlichen Haftung kommt bei Vorliegen von Fahrlässigkeit oder Vorsatz u.U. auch eine strafrechtliche Haftung in Betracht (z.B. fahrlässige Körperverletzung). Es sollte daher sichergestellt werden, dass typische Haftungsrisiken durch entsprechende organisatorische Maßnahmen (ordnungsgemäße Planung, Fortbildungen etc.) im Vorfeld möglichst verhindert werden.
Dr. Christian Schieder
Arbeitgeber- und BerufsVerband Privater Pfl ege e.V. Hannover
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Kundenmagazin up date 04/2019
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